Mit Papageien leben

Main Content

Papageienverhalten fÜr dummies

Geschrieben von Dagmar Heidebluth - Dieser Artikel steht auch als PDF-Datei zur Verfügung.

Wenn Halter das Verhalten ihres Papageien beschreiben, klingt dies meistens so:
Er ist... scheu, ein Angsthase, vorsichtig; dominant, wild, angriffslustig, bissig, ein Schreihals, ein Frauenvogel, ein Männervogel; wie eine Klette, eifersüchtig; zahm, lieb, verschmust, kuschelig, anhänglich, mutig, usw.

Für den alltäglichen Gebrauch mag eine solche Charakterisierung einen gewissen Zweck erfüllen. Wenn wir jedoch objektiv über das Verhalten des Vogels berichten wollen und vielleicht Rat suchen, wie wir bestimmte störende Verhaltensweisen ändern können, dann helfen uns Eigenschaftswörter nicht weiter. Sie entspringen unserer subjektiven Wahrnehmung und sind daher nicht eindeutig. Eine andere Person kann sich so nicht wirklich vorstellen, was der Vogel macht und versteht darunter evtl. etwas ganz anderes. Wir müssen also das Verhalten unseres Vogels klar und unmissverständlich beschreiben. Die folgende Klärung des Begriffs "Verhalten" hilft uns dabei:

Was ist Verhalten?

Verhalten ist all das, was jemand (ein Mensch oder ein Tier) tut. Wir können es sehen, hören, fühlen, wir können es messen oder zählen, wir können es klar und unmissverständlich beschreiben.

Was ist Verhalten nicht?

Verhalten ist keine Eigenschaft. Verhalten ist nicht, wie oder was jemand (ein Mensch oder Tier) ist. Worte wie gut, böse, lieb, nett, aggressiv, bissig, Schreihals, usw. bezeichnen kein Verhalten, sondern sie sind ein Label, ein Etikett, das wir dem "Jemand" aus unserer ganz persönlichen Wahrnehmung heraus aufdrücken.

Beispiel:
Der Papagei mag am liebsten den ganzen Tag auf der Schulter sitzen und überall dabei sein. Der eine Halter findet das toll und bezeichnet den Papagei als lieb und anhänglich. Ein anderer Halter findet es nervig und bezeichnet den Papagei als lästige Klette.

Dem einen gefällt es, wenn die Wellensittichgruppe pausenlos vor sich hin schwatzt, er nennt sie muntere kleine Schwätzer; den anderen stört es, er nennt sie dumme Krachmacher.

In beiden Fällen tun die Vögel das gleiche, ihr Verhalten ist das gleiche, dennoch werden sie das eine Mal nett, das andere Mal negativ abgestempelt. Den Vögeln gerecht wird weder das eine noch das andere Label. Sie tun nämlich einfach das, was für sie gerade am angenehmsten und erfolgversprechendsten ist.

Entferne mein Label

Wozu dient das Verhalten, das ein Papagei ausführt?

Das Verhalten eines Lebewesens kann ganz allgemein entweder dazu dienen, etwas Angenehmes (Futter, Aufmerksamkeit, Lob) zu bekommen oder es kann dazu dienen, etwas Unangenehmes (Störung, Gefahr, etwas Angst einflößendes) zu vermeiden. Beides bedeutet Erfolg für das Lebewesen. Verhalten dient also immer dem persönlichen Erfolg. Überlege dir, warum du selbst dies oder jenes tust und überlege, in welche Kategorie das Ergebnis deines Tuns fällt. Stelle die gleichen Überlegungen für deinen Vogel an und beachte dabei nur das Ergebnis, was seinem Verhalten unmittelbar folgt.

Wodurch wird bestimmt, welches Verhalten ein Individuum ausführt?

A. Durch die Signale aus der Umwelt (Umgebung und Ereignisse sind die Bühne, auf der Verhalten stattfindet)

Ein Verhalten wird niemals "einfach so" im luftleeren Raum ausgeführt. Es wird durch die jeweilige Situation angestoßen, d. h. durch das, was in der Umgebung gerade passiert und wahrgenommen wird. Der Fachbegriff dafür heißt Antezedent. Auch im Körper ablaufende Vorgänge wie Hunger, Durst, Frieren, Schwitzen, usw. lösen Verhalten aus, diese Vorgänge interessieren uns jedoch nicht, wenn wir mit dem Tier an einem bestimmten Verhalten arbeiten wollen, denn wir können nicht in die innere Welt des Vogels hineinschauen. Wir konzentrieren uns auf die äußere Umwelt, denn diese können auch wir wahrnehmen und wir können sie beeinflussen. Damit es niemand falsch versteht: Die inneren (intrinsischen) Auslöser interessieren uns deshalb nicht, weil wir sie nicht kennen, sehr wohl aber interessiert uns das beobachtbare Verhalten, das aufgrund solcher Auslöser gezeigt wird.

B. Durch die Konsequenz, die unmittelbar auf das Verhalten folgt

Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, auf bestimmte Reize aus der Umgebung zu reagieren. Welches Verhalten in einer bestimmten Situation gezeigt wird, hängt von den Erfahrungen aus der Vergangenheit ab. Das Tier wird auf Veränderung in seinem Umfeld mit dem Verhalten reagieren, das ihm in der Vergangenheit in der gleichen oder einer ähnlichen Situation Erfolg gebracht hat. Wobei: Was gerade in dem Moment "Erfolg" bedeutet, entscheidet ausschließlich das Tier! Der Papagei, der häufig neues Spielzeug erhält, das er bisher immer toll fand, wird auf jedes neu hingehängte Spielzeug sofort zugehen und es untersuchen - falls er gerade Lust hat zu spielen, falls nicht, beachtet er es nicht. Es ist seine Entscheidung. Ein Papagei, der selten neues Spielzeug bekommt, wird sich evtl. dafür entscheiden, dem unbekannten Ding ausweichen oder davor flüchten.

Wie können wir das Verhalten beeinflussen?

Zunächst einmal muss das Tier immer die Wahl zwischen verschiedenen Verhaltensweisen haben, dies gibt ihm eine gewisse Kontrolle über seine Umwelt. Diese Kontrolle ist ganz wichtig für das Wohlbefinden und die Psyche. Wir kommandieren den Papagei nicht "Los, steig auf die Hand", sondern wir fragen ihn, "möchtest du auf die Hand steigen?" und wir respektieren es, wenn er es nicht möchte. Es ist sein gutes Recht, Nein zu sagen.
Nun wollen wir aber doch, dass der Papagei gewisse Dinge tut, die wir gern von ihm sehen möchten. Das beißt sich doch mit dem zuvor gesagten? Nein, tut es nicht, denn wir können den Papagei das von uns gewünschte Verhalten lehren. Das geht ganz ohne Zwang, nur mittels positiver Verstärkung.

Wie wir oben gesehen haben, hängt das Verhalten von den Signalen aus der Umwelt und von den Konsequenzen ab. Diese beiden Dinge können wir beeinflussen. Wir können die Umgebung des Papageien so arrangieren, dass ihm das erwünschte Verhalten leicht gemacht wird und wir können für jedes kleine Schrittchen, mit dem er sich an das erwünschte Verhalten annähert, eine Konsequenz liefern, die für ihn Erfolg bedeutet. Damit verstärken wir sein Verhalten und er wird es in Zukunft öfter ausführen, um Erfolge (meist in Form eines Leckerlis) zu sammeln.

Leider bedeutet der enge Zusammenhang zwischen Verhalten und dessen Konsequenz auch, dass es sehr schnell geht, dass wir dem Vogel versehentlich bzw. aus Unwissenheit ein unerwünschtes Verhalten beibringen. Alle die üblichen Probleme, von denen Papageienhalter berichten, insbesondere Beißen und Hinterherschreien, wenn der Halter nicht zu sehen ist, sind auf diese Weise entstanden.

Belohnung oder Verstärker?

Warum ist das Wort Verstärker besser und richtiger als das Wort Belohnung, wenn es doch in beiden Fällen um die Gabe eines Leckerli geht?

Wir haben oben gesehen, dass ein Verhalten eine Funktion erfüllt, nämlich das Erreichen von etwas Angenehmem oder das Vermeiden von etwas Unangenehmem. Wir haben gesehen, dass für ein Verhalten ganz bestimmte Voraussetzungen in der Umwelt gegeben sein müssen, damit es überhaupt ausgeführt wird. Wir haben auch gesehen, dass Verhalten von den Erfahrungen in der Vergangenheit abhängt. Fazit: Ein Verhalten, das in der Vergangenheit angenehme Konsequenzen hatte, wird in Zukunft wiederholt, solange wie die angenehmen Konsequenzen bei jeder Wiederholung erhältlich sind. Wenn der Papagei ein Verhalten zeigt, das wir von ihm sehen möchten, dann verstärken wir eben dieses Verhalten durch die Gabe eines Leckerlis.

Es wird also das Verhalten verstärkt, es wird nicht das Tier belohnt, denn eine Belohnung muss keineswegs das Verhalten verstärken. Belohnen kann man einen Menschen für ein außergewöhnliches, ganz besonderes Verhalten. Zum Beispiel bekommt jemand, der einen entflogenen Papagei einfängt und zurückbringt, vom Eigentümer eine Belohnung. Wird sein Verhalten "Vogel einfangen" dadurch verstärkt? Wird er in Zukunft öfter entflogene Vögel einfangen? Wohl kaum (da sich die Gelegenheit wahrscheinlich nicht mehr ergibt).

In noch größere Schwierigkeiten kommt man mit dem Wort Belohnung, wenn es um Vermeidungsverhalten geht. Niemand gibt dem Papagei eine Belohnung, wenn er das neue Spielzeug meidet. Dennoch gibt es einen Verstärker für sein Verhalten, dem Spielzeug auszuweichen, nämlich das Schwinden seiner Angst mit zunehmendem Abstand von dem unheimlichen Ding

.Ein Verstärker kann alles Mögliche sein, Futter, Aufmerksamkeit, Lob, Kraulen…. Ein Verstärker muss dazu führen, dass das betreffende Verhalten, für das er gegeben wird, in Zukunft beibehalten oder häufiger ausgeführt wird, sonst ist es kein Verstärker.

Kann man einmal falsch gelerntes Verhalten ändern?

Man kann, denn nur das Verhalten wird weiterhin ausgeführt, welches zum Erfolg führt. Bleibt der Erfolg aus, wird das Verhalten nicht mehr ausgeführt.

Allerdings: Wenn ein Verhalten nicht immer, sondern nur gelegentlich zum Erfolg führt, dann wird das Verhalten u. U. sogar verstärkt gezeigt! Es ist wie am Spielautomaten, man weiß, dass er ab und zu einen Gewinn ausspuckt. Man versucht es einmal, zweimal, dreimal – nichts. "Beim nächsten Mal klappt es bestimmt", also weiter Geld hineinstecken… Irgendwann klappt es tatsächlich! Das Spiel an sich ist uninteressant, es wird nur deshalb gespielt, weil es in unregelmäßigen Abständen zum Erfolg (Gewinn) führt.

Ganz wichtig auch: Wenn der Halter dafür sorgt, dass ein Verhalten nicht mehr zur erwünschten Konsequenz führt, muss dafür ein entsprechender Ersatz geschaffen werden; es muss z. B. ein anderes Verhalten gelehrt und entsprechend verstärkt werden, damit der Vogel weiterhin erfolgreich sein kann. Die Summe der Gelegenheiten, Verstärker zu erhalten, muss unterm Strich konstant bleiben.

Was wirkt denn nun als Verstärker?

Wenn wir mit dem Papagei trainieren wollen, ihn also ein neues Verhalten lehren wollen, dann eignet sich am besten besonders leckeres Futter als Verstärker, Futter, das nicht in der täglichen Futterration vorhanden ist, sondern ausschließlich beim Training zur Verfügung steht. Die Futterstückchen sollten sehr klein sein, etwa von der Größe eines halben geschälten Sonnenblumenkerns, damit sie schnell gefressen sind und man zügig hintereinander die jeweilige Übung wiederholen kann. Es sollten verschiedene Leckerlis vorhanden sein, die abwechselnd gegeben werden.

Der Vogel entscheidet, was für ihn lohnend ist. Deshalb können vom Halter als Abschreckung oder Strafe gedachte Dinge wie mit Wasser bespritzen, ihn anschreien, sich wegducken, wenn er einen anfliegt, ihn vom Arm abschütteln, usw. für den Papagei durchaus verstärkend sein, weil sie Aufmerksamkeit bedeuten!

Entferne mein Label

Beispiel

Wenn Sie Ihren Papagei auffordern, auf die Hand zu steigen (Antezedent), stehen ihm mehrere Verhalten zur Wahl. Er kann aufsteigen, er kann mit seiner Körpersprache ausdrücken, dass er jetzt nicht aufsteigen möchte, er kann in eine Ecke flüchten, wo Sie ihn nicht erreichen können, er kann nach Ihnen hacken. Welches Verhalten er wählt, hängt von den Konsequenzen ab, die seine möglichen Verhalten in der Vergangenheit gehabt haben.

Hat er immer ein Leckerli fürs Aufsteigen bekommen, haben Sie ihn gekrault, mit ihm gespielt oder trainiert, wird er gern aufsteigen.
Wurde er nach dem Aufsteigen mehrmals sofort in den Käfig gesetzt, wird er nicht aufsteigen wollen und wird Ablehnung signalisieren.
Wurde seine ablehnende Körpersprache immer berücksichtigt, wird er es dabei belassen.
Wurde er in der Vergangenheit trotz ablehnender Körpersprache mit der Hand bedrängt, wird er flüchten oder beißen.


Dieser kleine Artikel ist nur eine grobe Skizze, welchen Gesetzen das Verhalten und Lernen folgt.
Neugierig geworden? Ausführlichere Informationen finden Sie in den von Fachleuten geschriebenen Artikeln auf auf dieser Webseite.
Vielleicht interessiert Sie auch mein Buch "Warum tut mein Papagei das?

...für ein besseres Zusammenleben mit Papageien!

 

 In diesem Artikel verwendete Grafiken: ©Friedman/Fritzler, www.behaviorworks.org